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Dienstag, 25. September 2012

Die glorreichen 80

Auf meinem Weg zu Ruhm, Macht und Reichtum meldete ich mich für eine Verkehrszahlung, ausgerichtet vom Studentischen Projektbüro Verkehrswesen der Hochschule Darmstadt für ein namhaftes Ingenieurbüro. Für die Gemeinde Mömbris bei Aschaffenburg soll erhoben werden, was in Mömbris wo rein, wo raus und wo hin fährt.

Bereits als ich meine Zählmappe im Büro abholte meinte einer der verantwortlichen Studenten schon, dass ich einen recht ruhigen Job hätte. Ortseinfahrt "Q2", ein Fahrstreifen je Richtung, recht schmal laut Karte. Darum sei ich auch allein an diesem Knoten eingeteilt.

Googlemaps meinte ich benötige ca. 1 Stunde und 7 Minuten dorthin. Stimmte soweit, wie ich dann feststellen durfte. Es hätte sicher Einsparpotential gegeben, aber was macht das schon. Bis Aschaffenburg konnte ich sogar trotz angepasster Fahrweise Zeit gutmachen und hatte nach AB einen Durchschnittsverbrauch von 4,3 Litern pro 100 km. Ab Ortsausfahrt Richtung Mömbris änderte sich das dann, und obwohl es nur noch wenige Kilometer waren schnellte der Verbrauch auf 4,8 Liter hinauf und ich verlor noch 10 Minuten. Aber zumindest letzteres störte mich auch nicht recht, ich war noch immer 15 Minuten zu früh.

Allein schon die Fahrt durch Mömbris machte mich etwas stutzig. 30 km/h überall, kurvig, hügelig, stellenweise sogar recht bergig und sehr enge Straßen, beidseitig mit Hartgummiwülsten zum ebenerdigen und nur ca. 50 cm schmalen Gehweg abgegrenzt.

Meine Zählstelle, so wurde mir gesagt, sei zwar im Bereich einer S-Kurve innerorts eingezeichnet, ich solle mich aber bis außerhalb des Ortes bewegen um tatsächlich nur die ein- und ausfahrenden Fahrzeuge zu zählen.

Besagte S-Kurve grenzte mehr an ein Z, dass ich zuerst im 2., dann aufgrund der 15 %-igen Steigung im 1. Gang nahm.

Ortsausgang.

Ich hatte mir mit Google eine geeignete Stelle ausgesucht. Die letzte Stichstraße sollte es sein, bzw. ein etwa 100 Meter danach angezeigter Stellplatz.

Besagte "Stichstraße" stellte sich dann aber, entgegen meinen Vermutungen nach der Luftbildaufnahme, nicht als Wohnbaugebiet, sondern als Schrebergartenkolonie heraus. Die "Landstraße" ist eher eine Gasse, auf der zufällig etwas Asphalt verteilt wurde. Den Stellplatz gab es nicht. Und die "Straße" hat die passende Breite, dass ich den Octavia in zwei Zügen nicht einmal zu einem Viertel gedreht bekommen hätte.

Ein gekonntes Wendemanöver, auf das Michael Knight neidisch wäre, brachte mich dann schließlich an eine geeignete Stelle. 5:46 Uhr, noch Zeit für einen Kaffee, eine Zigarette und eine Meldung per WhatsApp an Yvonne. Nach dem Blick aufs voll beleuchtete Handydisplay konnte ich von meiner Umgebung allerdings minutenlang rein gar nichts erkennen, weil es hier, fernab der Zivilisation, wirklich keinerlei andere Lichtquelle gab. Zwei einsame Autos fuhren vorbei.

6:00 Uhr, Zählmappe hervor und Schreibbereit.

6:15 Uhr, es ist Zeit das Blatt zu wechseln (macht man im 15 Minutentakt um sinnvolle Datenauswertung zu erhalten). Gezählte Fahrzeuge (aller Art): 0.

6:28 Uhr, einer der studentischen Mitarbeiter macht seine Runde und schaut, ob alle Knoten besetzt sind, jeder einen guten Platz gefunden hat und ob alles klar sei. Bisher kann ich ganze 5 Pkw vorweisen.

6:41 Uhr, ich werde wieder allein gelassen. Es sind tatsächlich 3 Pkw hinzugekommen.

6:53 Uhr, ich sinniere darüber, ob ich einfach eine weitere Zeile in die Mappe einfüge und die vorbeifliegenden Flugzeuge zähle. Bisher habe ich das nicht getan, aber ich weiß einfach, dass es am Ende meiner Schicht mehr sein werden als gummibereifte Erdfahrzeuge.



6:55 Uhr, das erste Highlight des Tages: ein Motorrad.

7:19 Uhr, die Sonne ist nun aufgegangen und versteckt sich hinter Regenwolken. Ich zählte in den letzten 45 Minuten 12 Fahrzeuge pro 15 Minuten. Langsam brennt die Luft.

7:24 Uhr, ein weiteres Highligt: tatsächlich ein Gefährt über 3,5 Tonnen.

7:33 Uhr, ein leichter Schauer, gefolgt von einigen Böen. Jetzt weiß ich, warum B. Eng. Bodamer doch ganz froh war, dass ich nicht an meiner geplanten Fahrgemeinschaft teilnahm sondern selbst gefahren bin.

7:41 Uhr, während ich dies Schreibe und mir schon überlege zum Spaß eine Exceltabelle zu bauen (ich hab nichts zu lesen dabei! -.- ) fährt in diesem Interval doch tatsächlich Fahrzeug Nr. 17 an mir vorbei, in Gegenrichtung kommt Fahrzeug Nr. 18. Ob ich genügen Kugelschreiber dabei habe...?

7:45 Uhr, es kündigt sich Fahrzeug Nr. 20 für dieses Intervall an und ich bekomme einen halben Herzinfarkt, als die Küchenuhr lospiept und mich daran erinnert, das Blatt zu wechseln. Fahrzeug Nr. 20 wird zu Fahrzeug Nr. 1 des nächsten Zeitraums.

7:48 Uhr, ein VW T3 rumpelt vorbei und ich frage mich, ob er aufgrund seiner Zulassung und Tonnage nun als Pkw gewertet wird, oder weil es ein Schulbus der Malteser ist in die Kategorie Bus fällt. Ich gedenke Wind- und Regenstille für eine Zigarette zu nutzen - und um mich vor der Eintönigkeit meiner Aussicht und Bewegungsfreiheit des Daseins als Work-o-holic zu retten.

8:02 Uhr, die Panoramaaufnahmen beweisen es: hier steppt der Bär. Die Pferde auf der Weide im Hintergrund lachen sich halb tot über mich, weil ich
a) doof hier seit 2 Stunden im Auto sitze und
b) sogar nicht geistesgegenwärtig heute morgen Zettel für Front und Heckscheibe mit Aufschrift "Verkehrszählung von (...) im Auftrag (...)" gedruckt habe. Ich beginne mit der Exceltabelle, während ein weiterer vorbeifahrender Handwerker tierisch in die Eisen geht, weil eine dunkle Limousine am Straßenrand Kindheitserinnerungen an Verkehrskontrollen zu wecken scheint.





9:26 Uhr, bei einem vorbeifahrenden Cop erregte ich erhöhte Aufmerksamkeit...

9:36 Uhr, ein Fiat irgendwas kam gerade die Straße raufgehackt und stieg schlagartig in die Eisen, als man mich entdeckte. Da stand die Dame nun mitten auf der Straße mit ihren italienischen Rallystreifen auf weißem Grund, und konnte sich wohl nicht so recht entscheiden ob Fisch oder Fleisch. Wie ein Hase im Scheinwerferlicht. Nach ca.40 bis 50 Sekunden fasste sie sich an den Eiern, fuhr beherzt los, an mir stark musternd vorbei, wendete an den Gärten und fuhr mordsmusternd wieder zurück. Okay...

9:44 Uhr, Sie mustert mich wieder gewaltig, als sie an mir vorbei und nun entgültig wegfährt.

10:00 Uhr, ich werd mich jetzt umdrehen und schlafen, denke ich. Habe gerade 13 Minuten mit Yvonne telefoniert und in der Zeit ganze 3 Autos gezählt.

Meine Exceltabellen bestechen dadurch, dass man keine nervigen Makros aktivieren muss oder sonstwas. Dafür sind sie gelegentlich etwas umständlich gehalten, das geb ich gern zu. VBA wäre da eleganter.

So eine simple Verkehrszählung geht ja aber auch ohne. Eigentlich. Blöd wird es nur dann, wenn man Diagramme einbaut und die Anzahl der Zählintervalle o.ä. variabel bleiben soll. Ich kann dem Diagramm sagen "alles, was bis Zelle 5000 steht sollst du zeigen" und wenn dann nur bis Zelle 200 was drin steht zeigt er es trotzdem super an. Dummerweise funktioniert aber die Achsenbeschriftung nicht auf die gleiche Weise. Die möchte bitte gern, dass alle 5000 Zellen ausgefüllt werden, damit sie das auch richtig hinbekommt.

Reichlich bäh.

10:05 Uhr, kurz war die Sonne draußen und wärmt den Wagen etwas auf. Die Heizwärme von heute früh ist schon lang weg. Ich werd mich mal kurz außerhalb des Wagens platzieren um nicht einzuschlafen und die wohlige Wärme danach richtig zu spüren.

12:37 Uhr, in der letzten Zeit brannte der Baum! Aber nur, weil ich mehrfach mit Yvonne telefoniert habe, der Typ vom Ingenieurbüro nochmal kurz da war, ich noch ein wenig mit Excel gepielt habe und Jan, der Organisator, noch eine halbe Stunde zum quatschen da war. Anscheinend siehts im ganzen Ort so aus wie hier... Naja, nicht ganz, aber sonderlich viel mehr hat keiner. Nichtmal die an der Durchfahrtsstraße haben nennenswerte Mengen.

In Bayern scheint man echt zu viel Geld zu haben. Das Dörfchen ist recht Rentnerlastig, möchte ich meinen. Die sind der Auffassung, dass man bei der Menge an Verkehr unbedingt eine Ortsumgehung bräuchte, was reichlicher Mist ist. Aber immerhin sind sie so lieb und versorgen die Zähler im Stadtkern, die ohne Auto da sind, mit Kakao und Keksen.

Witzig fand ich ja, dass mir Yvonne vorhin erzählte, dass ein Mitschüler aus dem Berufskoleg hier aus dem Nachbarort kam und völlig freaky drauf war. So richtig wie aus dem letzten Jahrtausend und total dämlich. Als Jan mir dann erzählte, dass das Ingenieurbüro normalerweise an Oberstufen im Umkreis nach Verkehrszählern sucht, es hier aber nirgendwo eine Schule mit Oberstufe gibt, musste ich doch innerlich echt laut auflachen, weil es so gut zusammenpasste.

So, die Ablösung kommt in vermutlich 10 bis 20 Minuten. Ich kann mich also langsam auf den Feierabend einstellen.

Bilanz: Ganz schön lahm. Mit was zu lesen hätte ich den ganzen Tag hier weiter machen können.

Verkehr Ortsauswärts:



Verkehr Ortseinwärts:



ca. 14:40 Uhr, Michi hat mich abgelöst, ich bin Richtung Darmstadt gezuckelt und dachte mir, dass die Ankunft im Nachbardorf genau rechtzeitig wäre um den Wagen mal wieder in die Werkstatt zu bringen und noch den Bus nach hause zu erwischen. Hätte auch alles soweit gut geklappt, wenn nicht dummerweise der Fahrplan umgestellt worden wäre und der Busfahrer mich ignorant ansah, als er an der Haltestelle vorbei fuhr, weil der Bus planmäßig hier nicht mehr hält. Also latschte ich die 40 Minuten übers Feld, schwitzte im Mantel, während mir durch den Wind von außen Ohrenschmerzen zugetragen wurden.

ca. 15:25 Uhr, am Feldrand parkt ein Wagen, der Schlüssel steckt in der Beifahrertür. Klingeln an den benachbarten 4 Wohnhäusern bringt nur die Gewissheit: heutzutage sind alle Eltern mitsamt ihren Kindern nachmittags immer ausgeflogen. Gegen 15:40 Uhr fand ich noch einen netten jungen Typ, der das Auto kannte und mir zielsicher Infos geben konnte. Leider war ich mehrfach an besagtem Haus und so lud ich den Schlüssel bei ihm ab. Wieder eine gute Tat, wenn ich auch keine Lorbeeren dafür einheimsen konnte.

ca. 15:50 Uhr, endlich zuhause. Die nasse Hose in die Ecke, endlich mal die Finger waschen und einfach nur genervt den Kopf ausschalten.

Glasbau? Wann anders vielleicht...

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