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Sonntag, 6. Januar 2013

Wissen als Hindernis

Besonders mein älterer Bruder wird es bestätigen können: eigentlich weiß ich nichts.

Ich will meinen schulischen Werdegang nicht (schon wieder) breit treten, sondern nur mal kurz anmerken, dass ich es gut finde, jetzt und auf diese Weise hier zu sein, wo ich jetzt bin.

Die Feiertage liegen zurück und nebst Verwandtenbesuch bot es sichan, bei alten Schulfreunden vorbeizuschauen. So auch bei einer Freundin von Yvonne, die selbst Haus und Mann und Kind hat. Ihr Mann ist nahezu permanent am Schaffen. Sowohl am eigenen Haus als auch andauernd auf Montage. Und wenn er nicht irgendwas schafft ist er unterwegs zu Bekannten und Freunden, um dort etwas zu schaffen.

Ich hab ihn zwar erst zweimal gesehen, aber trotz Wochenende immer nur in Arbeitsklamotten und Sicherheitsschuhen.

So waren wir also da, er begrüßte uns und war kurz darauf wieder irgendwohin unterwegs, Winterreifen beim Nachbarn aufziehen, oder sowas. Nunja, wir ließen die Kinder sich um die Spielsachen prügeln (ich hätte Geld auf Zelda setzen sollen) und besahen uns irgendwann das obere Stockwerk des Hauses, das sich noch im Bauzustand befindet.

Nunja, man sieht wohl Fortschritt (beim letzten Besuch gab es nicht einmal Wände, diesmal sogar schon verlegte Kabel und größtenteils gedämmte Dachschrägen), aber es dürfte noch einige Zeit dauern.

Ein gutes Stück Arbeit, aber nicht zu verachten, was bisher dort in Eigenleistung geschafft wurde.

Später war er wieder da und äußerst einsilbig. Man hatte so richtig das Gefühl die Ablehnung zu spüren. Höflich auf den ersten Blick, weil man ja unbekannt ist, aber dann bitte auch schnell nicht wiedersehen - hat nur leider nicht geklappt.

Und so hockten die beiden "Studierten" nun in seinem Wohnzimmer, während er die übriggebliebenen Pfannkuchen seines Sohnes mit den Fingern zerriss und sich hektisch in den Hals stopfte.

"Ist das nicht geil", sagte er, "wenns klappt schaff ich nächste Woche sogar Strom oben rein."

Voll gut, entgegnete ich, das habe so richtig was von Zivilisation.

Man sollte meinen, dass da durchaus humoristische Ansätze erkennbar sein sollten. Oder aber - wenn man als hart arbeitender Handwerker so etwas von einem faulen Studierten gesagt bekommt - bietet sich auch viiiieeel Platz, um die Stimmung richtig frostig werden zu lassen.

Nach weiteren kleineren Versuchen meinerseits die Stimmung auf die komische Seite zu ziehen, was von ihm leider merklich nur noch mehr ins Gegenteil umschlug, gab ich es dann auf. Jedem das seine.

Viele Leute mit irgendeinem Studienabschluss benehmen sich tatsächlich wie sau gegenüber "dem kleinen Manne". Keine Frage. Aber schade ist, dass dies besonders im handwerklichen Bereich immer verallgemeinert wird. Jemand mit Titel, Geld oder auch nur sauberem Anzug und Dokumentenmappe ist auf Baustellen grundsätzlich erstmal Skepsisträger, oftmals auch Feindbild. Kenn ich ja aus eigener Erfahrung.

"Der ist ganz witzig, aber pass bloß auf, dass du da keinen Mist baust - das zieht richtig ärger nach sich, auch wenn du gedacht hast er könne dich leiden." Sowas oder ähnliches sagte mein Altgeselle mal über einen Architekten. Und heute sehe ich auch die andere Seite, die dir aber in der Ausbildung niemand beibringt und du sie darum nur althergebracht mürrisch übernimmst:

Natürlich zieht es ärger nach sich, wenn was schief geht. Warum soll auch der Architekt oder Ingenieur oder sonstiger Auftraggeber für den Mist zahlen, den der Handwerker verbockt? Es wird ja schließlich für eine akurate Leistung bezahlt, nicht für Schrott.

Gut, das ist nun nicht die hochtragende Erkenntnis nach 4,5 Jahren Studium. Aber ich weiß, was ich meine. Da hängt ja gedanklich noch ein Rattenschwanz dran.

Zum Beispiel in Massivbau: "Ich geb Ihnen den Rat, wenn Stützen betoniert werden: Fahren Sie raus! Schauen Sie denen über die Schulter, wenn da was mit den Eisen nicht passt finden die schon einen Weg, der Ihnen als Ingenieur den Rest Ihres Lebens unruhige Nächte beschehrt." Kommentar von Daniel, ehemaliger Maurer: "Was meinst du, wie viele Eisen ich einfach abgeflext habe, wenns nicht so hingehauen hat?"

Oder auch bei mir selbst, als Elektriker. "Bohr die Schellen für das Rohr da in den Unterzug, alle 60 cm, etwa 5 cm von unten." Wie viele 6er Bohrer mir dabei drauf gegangen sind, weil ich immer wieder Eisen gefunden habe... Und wie ich geflucht habe, dass diese Eisen auch immmmmer genau da liegen müssen... "Halt einfach länger drauf, irgendwann bist du durch." Und heute? Heute weiß ich, dass die Eisen tatsächlich wirklich iiiimmer da liegen, +/- einige cm. Die gehören da aus statischer Sicht einfach hin, sonst bringt mir der schönste Unterzug nichts. Und dummerweise sollte man die auch nicht im Querschnitt schwächen, geschweige denn ganz durchhacken...

Es hat nunmal alles seinen Sinn. Wenn der Maurer, Elektriker, Klempner und von mir aus auch der Maler alles wissen müsste, was außen drum herum alles nötig ist, um ein Haus zu bauen, dann gäbe es heutzutage vermutlich immensen Handwerkermangel, weil das keiner mehr machen wollen würde. Also haben wohl ggf. die Studierten auch ihre Daseinsberechtigung.

Aber ich will mich ja nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.

Ich hab nur gerne eine faire Chance.

Ich hab mich im Auto dann noch ein wenig bei Yvonne darüber ausgelassen, wie schade ich das finde. "Tja", meinte sie, "das ist eben so, man traut jemandem mit Studium eben einfach nicht zu, dass sie auch einfach mal platt sein können und über niveaulose Witze lachen."

...als ob es jemanden niveauloseres als mich geben könnte.

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